"Ein Kind, ein Lehrer, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern."
Malala Yousafzai, Friedensnobelpreisträgerin 2014
Hallo ihr Lieben!
Wie ich höre, kommt der Frühling zu euch. Genießt die Sonnenstrahlen!
Nach den ersten Wochen auf Arbeit wollte ich mal ein wenig berichten, was sich verändert hat und wie es so läuft.
Verändert haben sich meine Arbeitszeiten sowie meine Aufgaben. Anstelle von 40 Stunden mache ich nun 31, was bedeutet, dass ich einen freien Nachmittag pro Woche habe.
Vormittags unterrichte ich zwei Stunden die Mädchen aus dem Aufnahmehaus und danach die classe relais, also die Kinder, die auf dem Markt arbeiten.
An den Nachmittagen nehme ich entweder an Besprechungen teil, helfe in der Bibliothek oder verbringe die Zeit mit den Mädchen.(Spiele, basteln, Sport etc.)
Nach wie vor macht mir die Arbeit Spaß und ich mag alle meine Aufgaben gern. :-)
Dadurch, dass ich nun anstelle der Kleinkinderbetreuung am Vormittag, mit den Mädchen arbeite sowie auch die meisten Nachmittage, bauen wir nun eine enge Bindung zueinander auf.
Die Mädchen sind Opfer von sexueller, körperlicher oder seelischer Gewalt und werden medizinisch und psychologisch betreut und juristisch vertreten.
In der Regel bleiben sie bis zu 3 Monate und dann versucht man sie möglichst in familiäre Strukturen einzugliedern (wieder in die eigene Familie, zu nahen Verwandten oder Bekannten) und wenn dies nicht möglich ist in Institutionen wie Heime oder Ausbildungsstätten. Das centre erklärt den Fall dann aber nicht für abgeschlossen, sondern betreut die Mädchen noch lange darüber hinaus, um sicherzugehen, dass alles in den richtigen Bahnen verläuft.
Momentan sind es sechs Mädchen im Haus. Zwei zwölf-Jährige, die anderen sind 16/17 Jahre alt. Sowie der Großteil der Mädchen, den ich kennengelernt habe bis jetzt, sind es auch jetzt wieder sehr starke Charaktere.
Ich lerne die Mädchen meist erst einmal kennen und erfahre einige Tage später, aus welchem Grund sie zu uns gekommen sind. Momentan sind wirklich einige sehr erschreckende Geschichten dabei (wobei man das natürlich nicht klassifizieren kann, letztendlich kommen sie ja alle her, weil ihnen etwas Schlechtes widerfahren ist.)
Dieser Teil der Arbeit fällt mir am Schwersten. Die Geschichten zu hören und dann so toughen, aufgeschlossenen und lieben Mädchen gegenüber zu sitzen im Wissen, was ihnen passiert ist.
Momentan fordert mich die Arbeit mit ihnen sehr, da sie wie schon gesagt, sehr starke Persönlichkeiten sind und teilweise auch echt pubertär. Wie äußert sich das? Zum einen kämpfen sie sehr um meine Aufmerksamkeit und Anerkennung, gleichzeitig testen sie ihre Grenzen aus und können z.Bsp. mit Berichtigungen im Unterricht nur schwer umgehen. Da ist es schwierig für mich als Bezugs-, aber auch Respektperson meiner Aufgabe gerecht zu werden.
Am Anfang der Woche kam es dazu, dass ich zwei Mädchen aus dem Unterricht geschickt habe, um mit Extra-Aufgaben zurück ins Haus zu gehen, da sie einfach nicht aufgehört haben, Ewé zu reden. Das ist zum Einen unhöflich, da ich es nicht verstehe, aber vor allem ist es eine grundlegende Regel, dass während des Unterrichts bei uns wie auch beim Unterricht in den Schulen Französisch gesprochen wird. Da meine Ermahnungen aber scheinbar "ins eine Ohr rein und ins andere raus" gingen, sagte ich irgendwann, dass die Nächste, die sich nicht daran hält, zurück ins Haus gehen müsse. Tja, dann muss man auch Wort halten... Ich war selbst überrascht, wie konsequent ich mich in diesem Moment durchgesetzt habe, denn die beiden haben wirklich mit allen Mitteln versucht, mich umzustimmen (Mitleid, Reue, Bockig-Sein, Ausreden... ). Ausgerechnet diese Beiden suchen normalerweise besonders meine Nähe, aber in diesem Moment waren sie natürlich überhaupt nicht einverstanden mit mir. Letztendlich sind sie dann gegangen und ich habe mich wirklich gefragt, wie die Reaktion am nächsten Tag wohl ausfallen würde. Würden sie es verstehen oder bockig mit mir sein?
Am folgenden Tag kamen die Mädchen in den Unterricht, ihre Aufgaben vorbildlich gelöst und nun bemühen sich alle sehr Französisch zu reden. Wir haben noch einmal darüber gesprochen, dass es mir ja nicht darum geht, jemanden auszuschließen oder mich zu demonstrieren, aber dass ich erwarte, dass wir uns gegenseitig mit Respekt begegnen und uns eine gute Atmosphäre zum Lernen schaffen und nicht nur beim Spielen Spaß haben und gut miteinander umgehen.
Im Endeffekt war es richtig, einmal durchzugreifen und an den Reaktionen habe ich ja auch gesehen, dass es sinnvoll war. Trotzdem ist das in dem Moment selbst gar nicht so leicht.
Da musste ich an die Worte einer früheren Lehrerin denken: "Ich wusste nicht, ob ich als Lehrer oder Mensch handeln sollte."
Damals fand ich das ziemlich witzig, aber nun stehe ich oft selbst in einem ähnlichen Zwiespalt. Auf der einen Seite weiß ich, dass es wichtig ist, dass die Mädchen sich untereinander austauschen und bin froh, wenn sie das Passierte verarbeiten, gleichzeitig ist in den zwei Unterrichtsstunden am Tag nicht der richtige Zeitpunkt dafür und sie profitieren, wenn sie etwas Lernen, was ihnen im späteren Leben hilft, ihren Lebensunterhalt (unabhängig) zu verdienen und ich ihnen somit auch nicht alles durchgehen zu lassen.
Ja, wir entwickeln uns zusammen weiter, lernen von- & miteinander. An jedem Tag wartete etwas Neues auf uns, wir gehen ein Stück unseres Weges zusammen und oft bedeuten die Kleinigkeiten des Alltags am Ende am Meisten.
Ganz liebe Grüße an euch alle,
bis bald,
à bientôt,
Tabea