Freitag, 6. Januar 2017

Jeder schöne Moment kann später die schmerzvollste Erinnerung werden und doch wird es uns immer wieder hinausziehen in die Welt.

"Ich glaube, eine Reise beginnt nie mit dem Tag des Abflugs. Sie beginnt bereits mit der Entscheidung zu gehen." 
Gesa Neitzel in "Frühstück mit Elefanten"
 
Vielleicht ist unser Herz wie ein Puzzle. Überall kann man ein Teil finden, was uns weiter vervollständigt, was uns weiter wachsen lässt, zu uns passt.
Seien es Orte, die wir entdecken, Menschen, die uns begegnen und vielleicht auch begleiten auf unserem Weg, oder besondere Momente, denen wir teilhaben.
In all diesen Momenten, während dieser Begegnungen lernen und wachsen wir, werden wir bereichert. Doch gleichzeitig habe ich das Gefühl, wird ein Stück unseres Herzens für immer an diesem Ort bleiben oder bei dieser Person. So ist jede Reise von einem Geben und Nehmen geprägt. Jeder schöne Moment kann später die schmerzvollste Erinnerung werden und doch wird es uns immer wieder hinausziehen in die Welt. Wir werden weitersammeln, unsere Persönlichkeit wird sich verändern und an jedem neuen Ort werden wir ein Stück unserer Seele lassen.

Das trifft wohl meinen aktuellen Zustand am besten. Irgendwo dazwischen. Ein bisschen zwischen zwei Welten.

Meine Reise hatte lange vor dem Abflug im August 2016 begonnen. Los ging es als ich das erste Mal im Herbst 2013 im Internet recherchierte über einen Auslandsaufenthalt in Afrika. Ein Kontinent, der so weit entfernt und riesig wirkt, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte, zu suchen. Bis hin zur Nachricht, dass ich ins Centre KEKELI nach Lomé gehen kann.
Die erste zaghafte Überlegung wächst, ob man sich 'das' zutraut, ob 'das' überhaupt zu einem passt, und weicht auf einmal der Gewissheit, wo man das nächste Jahr lebt, schon hält man ein Flugticket in den Händen. All das ist ein Weg auf dem man sich entwickelt, Entscheidungen trifft und das Fernweh letztendlich mehr und mehr vom Reisefieber abgelöst wird.
Am Abflugtag verspürte ich dann eine Mischung aus Angst, Neugierde, Vorfreude und Unglauben, dass es nun wirklich soweit ist. Ein Jahr in Togo. Ein Jahr weltwärts.
Doch ganz so geradlinig sollte mein Weg nicht verlaufen und ich muss aus gesundheitlichen Gründen gerade einen Stopp zu Hause einlegen.


Deutschland empfing mich mit kalten Temperaturen und Nieselregen und ich stieg als einziger Mensch ohne dicke Jacke aus dem Flugzeug - hatte ich ja erwartet erst im August wiederzukommen. Mit dem Mitarbeiter in Berlin bei der Passkontrolle sprach ich französisch, obwohl er ja meinen deutschen Pass in den Händen hielt, einfach weil alles andere mir so komisch, so falsch vorkam.
"Hier bitte, Tschüss." "Merci, au revoir."
Hatte ich doch kaum Zeit gehabt, mich auf den Abflug und den Abschied vorzubereiten, so unwirklich fühlte sich das Ganze nun an.


Zuhause angekommen empfing mich nicht die Vertrautheit, auf die ich gehofft hatte, sondern Irritation. Plötzlich sah alles so anders aus für mich. Ich glaube, ich stand fast fünf Minuten in unserer Küche und habe einfach nur wiederholt, wie "komich, irgendwie so komisch" ich alles finde.

Abends dann in einem großen Bett zu liegen, eingekuschelt unter zwei dicken Bettdecken mit dicken Socken an den kalten Füßen - Das war etwas, was in Togo bei 32/33 Grad im Zimmer nachts undenkbar ist. 

Obwohl uns genau das oft in Togo fehlte, fiel es mir schwer einzuschlafen. Die Stille dröhnte in meinen Ohren. In unserer WG hatten wir keine Fensterscheiben, sondern nur Moskitonetze und Lamellen zum Klappen, wodurch wir eigentlich immer von Geräuschen umgeben waren. Topfklappern der Nachbarn, Kinder nebenan, die spielten oder weinten, der Aufruf zum Gebet in der Moschee nicht weit von uns, die Motos auf der Straße, die Musik aus der Bar oder das morgendliche Bibelradio der Nachbarn ab sechs Uhr morgens. Daran hatte man sich gewöhnt.
Somit war meine erste Tat jetzt nach dem Aufwachen, den Fernseher einzuschalten, um Geräusche um mich zu haben. Etwas was ich vorher bei Anderen nie verstanden habe.

 
Das Ankommen viel mir schwer, hatte man sich doch sehr an seinen Alltag "weltwärts" gewöhnt. Oftmals fehlen mir einfach die Kleinigkeiten, die einem ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben, die den Alltag ausgmacht haben. Ich habe das Gefühl, dass man mehr Kontakt oder intensiveren Kontakt mit den Menschen hat. Man kauft an denselben Ständen ein, plaudert, verhandelt, so geht man von Stand zu Stand. Das Scherzen mit den beiden Brüdern, denen der Laden in unserer Straße gehört, wenn das Verhandeln mit den Motofahrern gut klappt. Sowas eben.
Hier hetzten in der Innenstadt alle aneinander vorbei mit verschlossenem Gesicht in letzter Eile, alle Weihnachtsgeschenke zu finden, die Menschenmassen erdrückten mich fast.


Ich würde gern wieder bei strahlender Sonne aufs Moto steigen, ins Centre fahren und arbeiten, mit meinen Kollegen quatschen und "meine" Kinder sehen. Beim Abschied sagte mein Chef zu mir: "Deine Kinder fragen jeden Tag, wo ihre Tata Tabea ist." Natürlich freut mich das, aber es macht mich gleichzeitig auch traurig.
So fehlt mir vor allem auch die Zeit mit meiner lieben WG, die eine Ersatzfamilie für mich geworden ist, und unsere Freunde. Umso schöner ist es, von allen zu hören, regen Kontakt zu halten und zu wissen, dass ein Zuhause mit lieben Menschen auf mich wartet.


"Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird."
 Christian Morgenstern


Heimat hat man nur eine, aber ich glaube, "Zuhauses" kann man mehrere haben. 

Nun eben wieder zu Hause in Deutschland. Alltägliche Dinge boten unbekannte Freude, wenn auch alles erst einmal etwas ungewohnt war. Ein Glas Wasser einfach aus der Leitung trinken, eine warme Dusche, die Waschmaschine oder der Geschirrspüler. Alles Dinge, die den Alltag erleichtern, aber auf welche wir ja in Togo quasi bewusst verzichtet haben. Da wird der Luxus, den unser Standard hier ermöglicht, deutlich.

Was mich wirklich erschrocken hat, war wie viel Zeug in meinem Zimmer war. Vor allem die vielen Klamotten, der Schmuck, die Schminke. Ich würde behaupten, dass ich damit in meiner Altersklasse in Deutschland völlig im Durchschnitt liege, aber wenn man erst einmal mit weniger gut auskommt (siehe Gepäckbeschränkung :-D ), sieht man doch, wie viel sich zu Hause im Schrank angesammelt hat. Ich glaube, meine erste Überlegung war tatsächlich, wie viele Mädchen ich damit eigentlich einkleiden könnte.

Es ist einfach prägend, wenn man sieht, dass viele der Mädchen, die zu uns ins Centre kommen und ihr Zuhause damit oft r unbestimmte Zeit verlassen, oft nur eine Tasche in der Größe Handtasche bis Sporttasche dabeihaben.
Ich will "das Haben" aber gar nicht verteufeln, denn jetzt und hier bereiten mir diese Dinge Freude so wie auch die Mädels im Centre sich über neue Sachen freuen.
Ich freue mich auch, in den Supermarkt gehen zu können und beinahe alles, was das Herz begehrt, kaufen zu können. (Auch wenn mir nun nochmal viel bewusster ist, dass es nicht normal ist, dass wir beispielsweise das ganze Jahr über exotische Früchte, die nicht in Deutschland wachsen, kaufen können.)
Ich denke, es ist einfach wichtig, dass wir wissend und bewusst konsumieren.


Natürlich freut man sich auch über so einige Dinge zu Hause. Vor allem war es schön Familie und Freunde wiederzusehen! Hier bin ich großgeworden, diese Menschen kennen mich in- und auswendig. Es ist schön so lieb empfangen zu werden und all die bekannten Gesichter um sich zu haben und zu merken, dass sich zwar viel verändert hat in den letzten Monaten, aber manche Dinge bleiben einfach unveränderlich. ♥ (Dazu zählt auch der gute Geschmack Omas Apfelkuchen). Nachdem ich nun viele Wochen in Togo krank war, ist es gut zu wissen, dass ich hier nun durchgecheckt und behandelt werde. Insgesamt ist krank-sein im Ausland (fernab der elterlichen Pflege ;-) ) einfach eine unschöne Sache.
Ich weiß, dass es für meine Gesundheit und meinen Körper die richtige Entscheidung war, was das Vermissen und den Abschied erträglicher macht. Ich hoffe einfach, schnell gesund zu werden und zurück zu können.

Denn, wenngleich hier ja quasi alles behandelt werden kann, gegen Reisefieber und Fernweh ist wohl noch keine wirksame Pille erfunden worden. ;-)

Macht's gut, bis bald, 

à bientôt,

Tabea


Ich atme dich ein
Und nie wieder aus
Schließ' dich in mein Herz
Lass dich nicht mehr raus
Ich trage dich bei mir
In meiner Brust
Hätt' alle Wege verändert
Hätt' ich sie vorher gewusst

Philipp Poisel - Eiserner Steg


Du verlässt deinen Ort,
du verlässt deine Freunde
für immer und jetzt,
für immer und fern.
Du bist kurz davor und dann
kommen die Zweifel
gebrochen in der Hand,
die nicht mehr aufhört zu zittern.
Und dann ist da dein Herz
und dein Verstand
und irgendwo dazwischen tuts weh.
(...)


Auf der Rückbank im Taxi,
dein Pass in der Hand.
Ich wünsch dir viel Glück,
und irgendwo dazwischen tut's weh.
Bosse- Irgendwo dazwischen