Montag, 20. Februar 2017

Perspektiven wechseln, Grenzen überschreiten, voneinander lernen - Was können Freiwilligendienste?

„Ach, du machst einen Freiwilligendienst hier? Was hast du denn studiert oder arbeitest du schon?“
„ Wie alt bist du überhaupt?“
„Und wer bezahlt das?“
„Müssen alle in Deutschland nach der Schule etwas freiwillig machen?“

„Wieso hast du genau Togo ausgesucht?“

„Sind da denn überhaupt noch Leute? Die sind doch jetzt eh alle hier in Europa.“
„Willst du denn auch mal einen Afrikaner heiraten?“
„Kannst du dir vorstellen dort Kinder zu bekommen und zu bleiben?“
„Hilfe wird doch auch hier gebraucht. Dazu musst du ja nicht nach Afrika gehen.“

Ja, so ein Freiwilligendienst bringt so einige Fragen und auch Zweifel mit sich. Nicht nur bei den Teilnehmenden selbst, sondern auch bei den Menschen aus unserem Familien- & Freundeskreis, unseren Kollegen und Bekannten im Gastland und vielen Anderen. All die Sätze und Fragen oben sind mir genauso begegnet – teils in Togo und teils  in Deutschland und zeigen, dass es noch viel Redebedarf gibt.

Ich kann keinen Gesamtüberblick über die Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands geben und auch nicht für die verschiedenen Dienste sprechen, aber möchte die Chance trotzdem nutzen, aus meiner Sicht, von meinen Erfahrungen mit „weltwärts“ zu berichten und zum Nachdenken anzuregen.

Die Idee zu diesem Beitrag kam mir beim Schauen eines Videos, erstellt von einer Hilfsorganisation namens ‚Luket Ministries‘, die tätig ist in Uganda. Aufmerksam auf das Video wurde ich über einen Artikel in der GEO (Ausgabe 03/2017) mit dem Titel „Dürfen Missionarinnen Rap-Videos drehen?“



In mir keimte die Frage auf: „Wie weit geht ein Freiwilligendienst und wie weit dürfen Freiwillige gehen?“

Um auf die Suche nach einer Antwort gehen zu können, ist es wichtig die verschiedenen Möglichkeiten eines solchen Dienstes zu unterscheiden, wobei ich aus meiner Perspektive erzählen möchte.
Bei „weltwärts“ handelt es sich um einen im Jahre 2007 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufenen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst.
Dieser versteht sich vor allem als Lerndienst, der „den Interessen junger Menschen an einem entwicklungspolitischen Engagement Rechnung tragen und gleichzeitig einen wirkungsvollen Beitrag zur Entwicklung in den Einsatzländern sowie zur entwicklungspolitischen Inlands- & Bildungsarbeit in Deutschland leisten soll.
Unter dem Motto „Lernen durch tatkräftiges Helfen“ sollen Ziele in den drei Dimensionen: „Globales Denken, Partnerländer und Inland“ verfolgt werden. Unter anderem soll das Verstehen, Wertschätzen der Vielfalt von Leben und Entwicklung gefördert werden sowie das globale Denken und Verstehen. Die Freiwilligen erwerben Qualifikationen und Erfahrungen und sollen später als Multiplikatoren*innen (in ihrem Herkunftsland) tätig werden. Darüber hinaus wird ein Beitrag zur Selbsthilfe und Stärkung der Partnerprojekte erbracht.“ [1]

So viel zur Theorie, aber wie sieht es in der Praxis aus?

Da es sich um einen Lerndienst handelt, werden von jeder Entsendeorganisation 25 Seminartage organisiert, die aufgeteilt vor, während und nach dem Dienst stattfinden.
Während des Vorbereitungsseminars haben wir uns nicht nur über persönliche Themen wie die eigene Motivation, mögliche Herausforderungen und eigene Erwartungen u.v.m. ausgetauscht, sondern auch viel sachliches Hintergrundwissen über die koloniale Vergangenheit, Entwicklungszusammenarbeit, die Vermeidung von (positivem) Rassismus und Klischees,… gelernt.
Uns wurde immer mehr bewusst, dass es sich um einen Lerndienst handelt, da vor allem wir von den Menschen vor Ort und viel über globale Zusammenhänge lernen werden.
Keiner von uns ging mit der Illusion, „den Kontinent zu retten“.
Es gibt viel Kritik an diesem Programm und überhaupt am Konzept der Freiwilligendienste. Ich denke, jeder Freiwillige muss sich dem stellen, um für sich heraus zu finden, ob er das, was er tut, wirklich vertreten kann

"Who wants to be a Volunteer?"

Der Großteil der „weltwärts“-Freiwilligen absolviert seinen Dienst direkt nach dem Abitur ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder ein voriges Studium, was den eigenen Wirkungsbereich einschränkt.
Wir kommen quasi mit einem weißem Blatt Papier, was sich Abitur nennt, aber was berechtigt uns damit gleichwertig mit studierten oder ausgebildeten Menschen zu arbeiten?

Diese Frage wurde mir in Deutschland als auch in Togo gestellt und ich finde es immer wieder schwer, darauf zu antworten, da es mein größter Zweifel vor der Bewerbung war, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt sei für einen Freiwilligendienst.
Für mich war ausschlaggebend, dass die Projektstellen grundsätzlich unabhängig von den Freiwilligen arbeiten sollen. Sie verstehen uns also nicht als Arbeitskraft, die nicht bezahlt werden muss, sondern als „Plus“, welches das Projekt durch einen interkulturellen Austausch von Erfahrungen, Ansichten und Arbeitsansätzen bereichern kann.
Dabei kann es auch hilfreich sein noch ungeprägt durch die Arbeitswelt in das Projekt zu gehen, da man so sehr flexibel und offen ist für die kommenden Aufgaben.
Dabei ist klar, dass wir die uns gestellten Aufgaben nicht besser bewältigen als Menschen vor Ort, sondern vielleicht eher einen anderen Ansatz wählen und das darin wohl der größte Nutzen unserer Anwesenheit besteht: im Austausch miteinander.

Aus eigener Erfahrung würde ich sagen, dass ich durch meine Arbeit im Projekt unheimlich viel lernen kann, meine Fähigkeiten erweitere, vor allem soziale Kompetenzen, aber auch fachliche.
Man wird sehr anpassungsfähig, kreativ – vor allem in der Arbeit mit Kindern, im Unterrichten und lernt viel durch den gemeinsamen Umgang, aber auch durch das Beobachten der Kollegen oder Kinder untereinander. Wir lernen eine neue Kultur kennen und sind oft das erste Mal in einem festen Arbeitsprozess eingebunden bei dem man sich mit Kollegen abspricht, Planung betreibt und auch feste Voraussetzungen zu erfüllen hat (Schule basiert ja ab einem gewissen Alter auf Freiwilligkeit und eigener Leistungsbereitschaft).
Die Arbeit mit den Kindern, ihnen lesen, schreiben, rechnen beizubringen, mit ihnen zu basteln, ihnen zuzuhören -  Das machen meine Kollegen mit jahrelanger Erfahrung. Ich kann also nur versuchen, es ihnen gleichzutun, sie so gut es geht zu unterstützen und mich bestmöglich einbringen zum Beispiel mit einigen neuen Ansätzen und Ideen.

Aber vor allem kann ich während und nach diesem Jahr versuchen den Austausch zwischen den Kulturen weiterhin zu unterstützen. Gewisse Klischees aufklären, meine Erfahrungen teilen, Interesse am Anderen wecken und aufmerksam machen auf das, was außerhalb unseres durchschnittlichen medialen Neuigkeitenkreises passiert.
Wir können also doch Einiges tun - vor allem viel in unserem Heimatland, das globale Denken voran- und in gesellschaftliche Debatten neue Blickwinkel einbringen.
Das ist etwas, was ich für sehr sinnvoll halte. Dass junge Leute die Chance erhalten, ihren Blick auf die Welt zu erweitern und ihre Erfahrung zu verbreiten, um ihre Zukunft mitzubestimmen.
Das schließt vor allem nicht aus, sondern fördert auch ein weiterführendes Interesse an der Entwicklungszusammenarbeit und dann vielleicht mit angeschlossener Ausbildung oder Studium.

Unsere Reise beginnt schon lange bevor wir ins Flugzeug steigen, indem wir uns mit der Idee eines Freiwilligendienstes auseinandersetzen, uns über mögliche Gastländer informieren, dann spricht man das erste Mal über sein Vorhaben.
Wir bauen uns einen Förderkreis auf und treten zu immer mehr Menschen in Kontakt, hören Zuspruch, aber auch viel Kritik – beides wird uns letztendlich beschäftigen.
Während des Jahres erfahren wie so viel Neues, unser Weltbild erweitert sich, verändert sich und wir setzen uns kritisch mit vielen globalen Fragestellungen auseinander und beginnen Zusammenhänge auf der Welt besser zu verstehen. All das teilen wir mit unseren Mitmenschen - in Blogs, Telefonaten, Mails, Gemeindebriefen, Zeitungsartikeln,…
Und auch nach unserer Rückkehr werden wir weiter über das Erlebte sprechen, es verbreiten und es wird immer ein Teil unseres Lebens sein, der in uns steckt, uns vielleicht auf neue Wege bringt an die wir vorher nie gedacht haben und uns zu Entscheidungen verleitet, die wir mit neuem Wissen treffen können.

Bei diesem Prozess müssen wir Freiwilligen Land und Leuten respektvoll begegnen und uns auf das, was uns vor Ort erwartet, einlassen. Wir dürfen nicht denken, dass die Art und Weise, wie wir Sachen angehen, besser ist, sondern müssen verstehen, warum wir Dinge unterschiedlich angehen und inwiefern wir beim Austausch etwas voneinander lernen können.
Die Illusion, die Welt lässt sich vom einen auf den anderen Tag ändern, bringt niemanden weiter. Der Glaube, dass jeder von uns die Welt jeden Tag ein wenig besser machen kann, schon.
Vielleicht kann ich jetzt nicht als Ingenieur helfen, die Wasserversorgung zu verbessern, als Arzt operieren oder als Krankenschwester helfen, aber mit jedem neu-gelernten Buchstaben, mit jedem Lächeln, mit jedem gutem Gespräch in dem man seinem Gegenüber Aufmerksamkeit schenkt, habe ich doch trotzdem etwas erreicht.


Anbei noch einige Quellen mit denen ihr euch selbst ein Bild machen könnt zum Umgang mit Freiwilligenarbeit. Vor allem die Videos sind zu empfehlen - Schmunzel-Garantie. ;-)

[1] = Frei nach BMZ-Evaluierungsbericht 056, „Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst ‚weltwärts‘“
 
„Let’s save Africa! - Gone wrong"



„Africa for Norway – Radi-Aid“
https://www.youtube.com/watch?v=oJLqyuxm96k&spfreload=10

„Egotrip ins Elend.“, Süddeutsche Zeitung
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/24384